Gender Diversity Management in der Unternehmenspraxis zu realisieren ist ein hoch komplexes Anliegen. Schnell verliert man die Übersicht, wo am besten anzusetzen ist. Oder man verstrickt sich in Einzelmaßnahmen ohne die Gesamtstrategie im Auge zu behalten. Damit Sie vor lauter Bäumen auch den Wald noch sehen können, hilft Ihnen mein Modell der Organisationsebenen
Es keine Organisationen oder Unternehmen, die auf einer Metaebene „neutral“ sind. Diese Aussage bezieht sich nicht auf die Frage nach beispielsweise weiblichen Organisationen, sondern auf Bestrebungen, Gender und Diversity in Organisationen wahrzunehmen, sichtbar zu machen und zu implementieren.
Denn in Organisationen und Unternehmen bringen sich einzelne Frauen und Männer in ihrer Vielfalt individuell ein, sie setzen ihre Kompetenzen und Qualitäten in ihrer fachlichen Arbeit um. Gemeinsam mit Führungskräften, Kolleg*innen und Mitarbeiter*innen entwickeln sie das Selbstverständnis, welches sie dann in Aufgabengebieten, Bereichen, Aktivitäten etc. realisieren. Und all dies ist nicht gender- oder diversityneutral!
Organisationen und Unternehmen sind also nicht irgendwelche objektiven vom Himmel gefallene Gebilde, sondern sie werden von Menschen geformt. Gender und Diversity sind dabei zentrale Kategorien, die sich sowohl in Personen und Kulturen als auch in Strukturen und Inhalten manifestieren und (re)produzieren. Gender Diversity Management bezeichnet dabei einen Prozess, dies sichtbar und veränderbar zu machen.
Das Modell der Organisationsebenen habe ich aufgrund meiner langjährigen Erfahrungen der Beratung von Unternehmen und Organisationen entwickelt. Erstmals haben wir mit einer Vorgängervariante davon bei der Heinrich-Böll-Stiftung gearbeitet, um als erste Organisation in Deutschland Geschlechterdemokratie als Gemeinschafts- und Querschnittsaufgabe zu implementieren (1). In den folgenden Jahren habe ich es bis zur derzeitigen Version modifiziert.
Basis des Modells ist die Erkenntnis, dass Organisationen und Unternehmen durch verschiedene Ebenen gekennzeichnet sind:
Diese sind nicht als starres Gerüst zu verstehen, sondern sie greifen ineinander und Grenzen können verschwimmen. Jede Ebene hat ihre eigene innere Logik. Gleichzeitig bedingen sich die Ebenen gegenseitig. Um Gender Diversity Management zu implementieren, braucht es selbstverständlich Veränderungen auf allen Ebenen - also eine Gesamtstrategie. Dabei ist es hilfreich, die einzelnen Ebene zunächst getrennt voneinander zu betrachten und geeignete Maßnahmen zu entwickeln. Anschließend werden sie in ihrer Wechselwirkung betrachtet und in ihren Abhängigkeiten wieder zusammen gefügt. Dies ermöglicht ein sortiertes, übersichtliche und strukturiertes Vorgehen - weshalb ich die Darstellung als Puzzle gewählt habe.
Das Zusammenspiel der Ebenen wird am Beispiel des Ziels, den Frauenanteil in Führungspositionen zu erhöhen, deutlich: Auf der individuellen Ebene der Person hat vermutlich jede*r eine Meinung, Erwartungen oder Befürchtungen dazu. Auf der Ebene der Kultur wird das „Miteinander“ der Einzelnen deutlich: Wird das Ziel eher abgelehnt? Sind Abwertungen von „Alibifrauen“ oder „Quotenfrauen“ akzeptierte Haltungen? Wird das Ziel befürwortet? Findet beispielsweise eine offene Diskussion über Führungsstile statt? Die Ebene der Struktur spiegelt im Grunde als Ergebnis die Rahmenbedingungen der beiden anderen Ebenen wider: Hier manifestieren sich die Bedingungen, die eine Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen befördern.
Das Modell funktioniert auch umgekehrt: Wenn die Rahmbedingungen zum Beispiel vereinbarkeitsfreundlich gestaltet sind, indem Meetings grundsätzlich bin um 16.00 Uhr beendet sind, dann bedeutet das auf der kulturellen Ebene die Akzeptanz, dass Menschen mit Familienverantwortung das Unternehmen verlassen - ohne dass beispielsweise abwertende Witze oder Bemerkungen gemacht werden, wie „Du arbeitest heute wohl mal wieder nur einen halben Tag?!“ Auf der Ebene der Person ziehen diese Rahmenbedingungen und Kulturen dann wiederum Menschen an, die Karriere machen wollen ohne auf ihre Familie zu „verzichten“.
Auch in einem weniger chancengerechten Sinne ergeben sich diese Wechselwirkungen: Rahmenbedingungen von ausschließlicher Vollzeit, ohne Gleitzeit, mit Präsenzkultur - ja das gibt es, ich habe selbst ein solches Unternehmen beraten - beinhaltet eher eine Kultur von „nur die Harten kommen in den Garten“. Ein wenig sachlicher: Nur wer „den ganzen Mann“ ohne Rücksicht auf Verluste in den Dienst des Unternehmens stellt, gilt als Leistungs- und Potentialträger. Die Personen, die sich für solche Unternehmen interessieren oder sich darin eine Karriere versprechen, teilen diese Grundsätze und arrangieren ihr (Familien-)Leben entsprechend.
Diese Wechselwirkungen machen auch deutlich, warum es in manchen Unternehmen eine Reihen von Rahmenbedingungen beispielsweise zur Förderung von Frauen gibt, aber der Anteil von Frauen in Führungspositionen nicht steigt: Die Kultur des Unternehmens hinkt hinter den Rahmenbedingungen hinterher. Und auf der Ebene der Person gibt es (zuweilen) Führungskräfte, die zwar formell den Zielen zustimmen, aber die den Sinn nicht erkennen (wollen), deren Mindset Chancengleichheit erschwert oder die abwarten und nicht proaktiv handeln oder davon ausgehen, dass die „durchs Dorf getriebene Sau“ ja auch wieder aus dem Dorf verschwindet.
Deshalb ist, jede Ebene mit einem eigenen Ziel verbunden, um die Vorteile Gender Diversity zu befördern:
Diese Ebene nimmt die Personen als Handelnde und (Re-)Produzent*innen von Chancen(un)gleichheit in den Fokus. Jede Person in einem Unternehmen hat logischerweise eine eigene Biographie, Lebenswirklichkeit, Herkunft, Ausbildungs- und Berufsprofession, eine eigene Vorstellung von einem glücklichen Leben, guter Arbeit, erfolgreicher Karriere sowie Chancengleichheit und Diversität.
Was jede einzelne Person privat denkt und tut, geht ein Unternehmen nichts an. Wenn sich die Organisation aber Chancengleichheit oder Gender Diversity zum Ziel gesetzt hat, dann braucht es Führungskräfte und Mitarbeitende, die dieses Ziel in ihrem Arbeitskontext befördern. Unter dem Stichwort Sensibilisierung und Qualifizierung geht es um
Erfahrungsgemäß hat jede Person eine eigene private Meinung zum Thema Gender Diversity. Es bietet sich an, diese auch so bestehen zu lassen und die Menschen weder missionieren noch „umerziehen“ zu wollen - das führt eher zu Widerstand und Abwehr. Ich ziehe es vor, die Menschen in ihrer Funktion als Führungskraft oder Beschäftigte anzusprechen. Besonders Führungskräfte sehe ich in der Pflicht, ihrer Führungsaufgabe gerecht zu werden, zu der unter anderem das Thema Gender Diversity gehört. Indem sie in den Kontext des Unternehmens und ihrer Arbeitsaufgabe gesetzt werden, treten persönliche Aspekte eher in den Hintergrund. Vor allem Männer, die sich mit Genderthemen beschäftigen (sollen), fällt es dadurch meiner Wahrnehmung nach leichter, sich darauf einzulassen.
Wie gesagt bezieht sich diese Ebene auf das Miteinander - und dessen Manifestationen. Die Organisationskultur entsteht als dynamischer (Lern-)Prozess im Umgang mit Herausforderungen aus der Umwelt und interner Koordination. Dabei kristallisieren sich bevorzugte Orientierungsmuster und Lösungswege heraus. Es entstehen Bewertungen darüber was als „gut“ oder „schlecht“ angesehen wird, welche das Handeln bestimmen und zu einer Selbstverständlichkeit werden lassen. Die Kultur besteht aus unausgesprochen und ungeschriebenen Gesetzen, wird als „Arbeitsatmosphäre“ oder soziales Klima beschrieben und ist eher intuitiv und emotional wahrnehmbar. Sie ist deshalb auch wenig faßbar, weil es so schwer fällt, sie überhaupt konkret in Worte zu fassen. Dazu zählen unter anderem
Die Unternehmenskultur gilt als die zentrale Ebene für den Erfolg oder Misserfolg von Veränderungsprozessen der Organisationsentwicklung - bedauerlicherweise ist sie gleichzeitig die am schwierigsten bearbeitbare Ebene!
Ein einzelner Führungskräfte-Workshop zum Thema Führungsverständnis, ein Reflexionstraining über Normen und Werte oder ein Austausch über das (zu entwickelnde) Leitbild reichen da kaum aus. Sie funktionieren wie ein Stein, den man ins Wasser wirft und der Kreise zieht - aber ob das im Wasserglas oder im Unternehmensmeer wirkt, ist zunächst unklar. Zur Veränderung der Unternehmenskultur bedarf es Kontinuität und Wiederholungen. In verschiedenen abwechslungsreichen und kreativen Formaten gilt es die gleichen Themen aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu inszenieren. Hilfreich ist, wenn an Instrumenten auf der strukturellen Ebene angeknüpft werden kann, oder wenn geeignete Formate von Workshop-Teilnehmenden selbst entwickelt werden.
Zur Veranschaulichung ein Beispiel zum Home-Office: Auf der strukturellen Ebene gibt es eine konkrete Betriebsvereinbarung. Auf der Ebene der Person spielen Kontrolle oder Vertrauen eine zentrale Rolle sowie die Frage der persönlichen Einschätzung von Sinn oder Unsinn temporärem Arbeitens außerhalb des Büros. Auf der kulturellen Ebene geht es um Präsenzkultur und das Selbstverständnis als Führungskraft bzw. Führungsstil. Ich kann eine Führungskraft nicht zwingen „endlich einzusehen“, dass Home-Office viele Vorteile für alle hat. Und ich kann ihr auch nicht die Betriebsvereinbarung auf die Stirn nageln, damit sie diese anwendet. Wer nicht will, ist findig darin, Auswege und Schlupflöcher zu finden. Zielführend sind stattdessen beispielsweise:
Die Kultur zu verändern führt über Gewöhnung und Alltäglichwerdung. Die geschieht gleichzeitig über die Erkenntnis: Das Thema wird nicht wieder weggehen. Bei Führungskräften ist auch der Peer-Effekt zu nutzen, der wahlweise über Vorbilder als auch über Wettbewerb gut funktioniert.
Wie erwähnt, ist diese Ebene Voraussetzung und Ergebnis gleichermaßen. Hier schlägt sich in den Rahmenbedingungen nieder, was auf den anderen beiden Ebenen selbstverständlich ist. Gleichzeitig bedingen die Strukturen die Unternehmenskulturen und machen das Unternehmen für bestimmte Menschen attraktiv und für andere nicht. Zu den Instrumenten und Maßnahmen für mehr Chancengleichheit zählen beispielsweise:
Hierbei wird auch die Abhängigkeit zu den beiden anderen Ebenen deutlich: Es muss auf der kulturellen Ebene beispielsweise der Wert gelten, dass in Sabbaticals oder Erziehungszeiten außerberufliche Kompetenzen erworben werden, die für die berufliche Tätigkeit nützlich sind (wie Organisationstalent, Geduld, Neugierde, Umgang mit Ungewohntem, Einlassen auf Neues oder ähnliches). Im Ergebnis werden Sabbaticals und Erziehungszeiten dann strukturell befördert, als Leistungsmerkmal in die Potentialanalyse aufgenommen, bei Bewerbungsgesprächen abgefragt und in die Lebensphasenorientierte Personalentwicklung integriert. Gleichzeitig müssen auch die Beschäftigten und Führungskräfte von den positiven Effekten überzeugt sein, damit sie zum einen die Angebote von Sabbaticals annehmen bzw. genehmigen. Zum anderen ist dies auch deshalb notwendig, damit beispielsweise bei Bewerbungsinterviews auch danach gefragt wird - und der Aspekt nicht einfach übergangen wird.
Diese Ebene habe ich bisher vernachlässigt, weil sie häufig in Unternehmen keine so große Rolle spielt - und ich sie dort auch meistens in meinen Trainings weglasse. Relevant ist diese Ebene hingegen beispielsweise im Bildungs- oder im sozialen Bereich. Dabei kann es um Angebote für die verschiedenen Zielgruppen (im Bildungsbereich) oder die Berücksichtigung von Gender und Diversity im sozialen Bereich gehen (wie beispielsweise genderorientierte Kitaarbeit oder interkulturelle Pflege).
Die Frage nach Zielgruppen sowie Gender Diversity Aspekten in der fachlichen Arbeit beschäftigt natürlich auch Unternehmen. Weil allerdings in den meisten Unternehmen die wenigsten Leute Einfluss auf die Produkte haben, thematisiere ich beispielsweise die Zielgruppen im Rahmen von (externer) Kommunikation.
Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass das Modell die Umsetzung von Gender und Diversity unterstützt. Es hilft Zusammenhänge zu verstehen und strukturiert Aktivitäten und Maßnahmen zu entwickeln und anzuwenden.
Allerdings gibt es kein Patentrezept: Jede Organisation und jedes Unternehmen ist anders. Die Mitarbeitenden sind unterschiedlich, die Kulturen sind spezifisch, auch die Branchen sind verschiedenartig ebenso wie die drängendsten Nöte. Diese müssen berücksichtigt und Instrumente und Konzepte entsprechend angepasst werden. Ein Unternehmen der Energieversorgung hat mit seinen Aufgaben und Mitarbeitenden mit Sicherheit eine andere Organisationskultur als ein Organisation der Sozialwirtschaft. Doch unabhängig von den Unterschieden gibt es gemeinsame Eckpunkte zur Umsetzung von Gender und Diversity.
Zudem ist jede Organisationsentwicklung ein dynamischer Prozess, bei dem sich zuweilen erst im Verlauf herausstellt, welche Ebenen besonders relevant sind oder welche Aktivitäten den größtmöglichen Erfolg versprechen - oder auch wo die „Biggest Failures“ lauern.
Aus eigener Erfahrung sind mir Lust und Frust des Prozesses bekannt: Die Lust an der Kreativität, die in der Prozessgestaltung steckt, und den Frust, wenn sich die Organisation langsamer verändert, als zuvor gedacht und gewünscht. Die Erzeugung von Druck, zum Beispiel durch Sanktionen, ruft meines Erachtens Gegendruck hervor, der in den meisten Fällen zu Verhaltensstarre und Ausweichmanövern führt. Auch fordert jeder Veränderungsprozess Widerstände heraus, und weil darin gleichzeitig die meiste Energie steckt, gilt es diese entsprechend den Zielen zu lenken. Unabdingbar sind die Unterstützung der Geschäftsführung und das Selbstverständnis als lernende Organisation, in der Vielfalt hilft, gute Lösungen zu finden.
Wenn Sie an meinem Modell interessiert sind und darin Potential für mehr Gender und Diverstiy in Ihrem Unternehmen sehen, dann freue ich mich von Ihnen zu hören.
P.S. Wie sind Ihre Erfahrungen mit den verschiedenen Organisationsebenen? Welche erfolgreichen Maßnahmen existieren in Ihrem Unternehmen? Welche Aktivitäten waren sinnlos? Darauf bin ich sehr neugierig. Erzählen Sie mir davon: post@genderworks.de
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(1) siehe
Grundsätze einer genderbewussten Organisationsentwicklung“ in: Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes NRW: „Schule im Gender Mainstream. Denkanstöße – Erfahrungen – Perspektiven“, Soest 2004, S. 45-50
„Gender Mainstreaming als Organisationsveränderungsprozess – Instrumente zur Umsetzung von Gender Mainstreaming“ in: Meuser, Michael/Neusüß, Claudia (Hrsg.): „Gender Mainstreaming. Konzepte – Handlungsfelder – Instrumente“, Bonn 2004, S. 274-290 (zusammen mit Henning von Bargen)
„Geschlechterdemokratie in der Praxis“ in: Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.): „Geschlechterdemokratie wagen“, Königstein/Taunus 2003, S. 126-143 (zusammen mit Henning von Bargen)
„Geschlechterdemokratie – Das Konzept der Heinrich-Böll-Stiftung“ in: femina politica, Zeitschrift für feministische Politik-Wissenschaft, 11.Jg. Heft 2/2002, S. 18-28 (zusammen mit Barbara Unmüßig)